Mittwoch, 3. November 2010

Offener Brief an Nelson Müller

Manfred Weniger, der Leiter des Slow Food Conviviums Essen, hat folgenden Offenen Brief an Nelson Müller vom Restaurant "Schote" in Essen geschickt.

Sehr geehrter Herr Müller,

mit Interesse habe ich Ihre wiederholten Äußerungen zu Produkten, einheimischen Produkten und zur Qualität von Produkten zur Kenntnis genommen. Im Rahmen der vielfältigen Veranstaltungen von „ESSEN GENIESSEN e.V.“ haben Sie es durch regionale Menu-Bestandteile unterstreichen wollen.
Im aktuellen „Restaurantkarussel“-Heft lese ich, dass von Ihnen in Ihrem Menu das Gericht „Bad Bentheimer Milchferkel mit Saubohnen …“ angeboten wird.
Bitte haben Verständnis, dass bei mir sofort die Assoziation zum „Bunten Bentheimer Weideschwein“ gedanklich hergestellt ist. Ein Schwein, welches in der „Roten Liste der G-E-H“ immer noch als gefährdet bezeichnet wird, das Mitglied der „Arche des Geschmacks“ von Slow Food e.V. ist. Beide Organisationen sind der Überzeugung, dass man dieses Schwein unbedingt erhalten muss und dass der Weg über das „Aufessen“ geht. Nur so gibt es für die Züchter und Produzenten einen Sinn für die Züchtung. Dass der Geschmack dieser Rasse obendrein vorzüglich ist, gibt Hoffnung, dass diese alte Haustierrasse, das Schwein der Bergarbeiterfrauen im Ruhrgebiet in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, tatsächlich gerettet werden kann. Insofern macht es viel Sinn, das Fleisch dieses Schweines in der Gastronomie zu verarbeiten.
Allerdings frage ich mich und vor allem Sie, was ein „Milchferkel“ sein soll?
Egal bei welcher Schweinerasse, Ferkel säugen ca. 6 -10 Wochen bei der Sau, ab der 2. Lebenswoche beginnt man mit dem Zufüttern, damit die Ferkel mit dem Absetzen ein Gewicht von ca. 25 kg erreichen – wohlgemerkt Lebendgewicht, nicht Schlachtgewicht.
Es ist nach meiner Kenntnis eigentlich unüblich, Ferkel mit dem Absetzen zu schlachten – dieses gibt es zwar bei Schaf- und Ziegenlämmern ( Milchlämmer ) und Kälbern ( Saugkälber ) – aber hier liegt das Gewicht dann höher und die Säugezeit ist länger.
„Milchferkel“ wären also Ferkel, die direkt nach dem Absetzen von der Muttersau geschlachtet werden würden. Wie gesagt, das wäre völlig neu für mich.
Die Bezeichnung „Bad Bentheimer Milchferkel“ ist für mich auch aus züchterisch-haltungstechnischer Sicht nicht richtig.
Nach Auskunft von Herrn Helge Thoelen, 1. Vorsitzender des „Vereins zur Erhaltung des Bunten Bentheimer Schweines“ und Geschäftsführer der „ZV NORDSCHWEIN e.V.“ gibt es bei den „Bunten Bentheimer Schweinen“ zwar unterschiedliche Rassebegriffe, wie „Bentheimer Landschwein, Bentheimer Weideschwein, Swatbunte etc.“. Gemeint ist aber immer die im Zuchtbuch eingetragene, auf Grund genetischer Abstammungen sowie kontrollierter Zucht geführte Rasse des „Bunten Bentheimer Schweines“.
Somit kann z.B. ein „Bad Bentheimer Schwein“ irgendein Schwein sein, dass in der Stadt Bad Bentheim gehalten und gemästet wurde – allerdings ohne jeglichen Bezug zum „Bunten Bentheimer Schwein“.
Festzustellen ist, dass es ein „Bad Bentheimer Schwein“ nicht gibt, d.h. ein solches Schwein würde in keinem Zuchtbuch der Welt zu finden sein. Damit gibt es auch keine Produkte vom „Bad Bentheimer Schwein“ (mit und ohne Milch).
Was kann also „Bad Bentheimer Milchferkel“ sein? Ich würde bei meinen Kenntnissen aus dem Zucht-Nutztierbereich auf folgenden „Herkunftsnachweis“ kommen:
Ein Schwein jüngeren Alters der Rasse X, das bis zur Schlachtung mit Milch gefüttert wurde. Ein „Buntes Bentheimer Schwein“ wird daraus aber nicht.
Natürlich – und das muss man leider feststellen – gibt es mit der Diskussion um das „Bunte Bentheimer Schwein“ mittlerweile Trittbrettfahrerei, die den guten Namen mit gebrauchen wollen. Und sei es durch eine willkürliche Namensgebung, die eben zu der oben genannten Assoziation führt, die falsch ist.
Ich möchte Sie bitten, mit Ihren Lieferanten zu klären, um was für ein Produkt es sich bei dem von Ihnen angebotenen „Bad Bentheimer Milchferkel“ handelt, was für eine Rasse es ist, von wem es kommt, wie es aufgezogen ist.
Es würde mich freuen, wenn Sie mich darüber informieren könnten, aber vor allem auch Ihre Gäste. Damit diese erhalten, was Sie vielleicht mit dem Begriff „Bentheimer“ erwarten.

Mit freundlichen Grüßen
Manfred Weniger
Conviviumsleiter
Slow Food Convivium Essen

Zur Erläuterung:
Milchlamm, Milchkalb – hier gibt es im Lebensmittelrecht klar definierte Begriffe und Inhalte. Das Wesentliche und Bestimmende: Dieses sind Tiere, die nichts anderes als Muttermilch bekommen haben. Sie können, da sie eine gewisse Größe erreichen, als solche auch vermarktet werden. In Ableitung dieses o. g. Begriffe bedeutet dieses, dass ein Milchferkel ausschließlich von der Muttermilch der Sau ernährt wird.
Das Geburtsgewicht eines Ferkels beträgt ca. 1 – 1,5 kg. Diese Ferkel (jetzt sind es noch “echte“ Milchferkel) werden ab der 2. Lebenswoche neben der Muttermilch mit Ferkelfutter gefüttert. Nach dieser einen Woche „Muttermilch“ haben sie nur wenig an Gewicht zugenommen, können also nicht vermarktet werden.
Nach 4 - 5 Wochen werden die Ferkel mit einem Gewicht von ca. 7,5 kg von der Muttersau getrennt (abgesetzt, Absatzferkel). Sie kommen dann in einen speziellen Aufzuchtstall, in dem sie bis zu einem Gewicht von 25 kg Lebendgewicht, nicht Schlachtgewicht (ca. 11. – 12. Lebenswoche) gehalten werden. Das sind dann die „normalen“ Spanferkel, die wir erhalten.
Bleibt man in der Systematik des Lebensmittelrechts – Vergleich zu Lamm/Kalb – gibt es keine „echten“ Milchferkel im Verkauf. Es scheint aber gängige Praxis zu sein, junge Ferkel, die bereits Fertigfutter erhalten, aber noch parallel gesäugt werden (s. o.) – aus meiner Sicht irreführend – als Milchferkel zu bezeichnen.
Absatzferkel sind definiert als abgesetzte Ferkel bis zum Alter von 10 Wochen. Das Durchschnittsgewicht der Ferkel einer Gruppe Absatzferkel muss mindestens 5 kg betragen. Bei neu zusammen-gesetzten Gruppen darf das Gewicht der einzelnen Tiere um höchstens 20 Prozent vom Durchschnittsgewicht der Absatzferkel der Gruppe abweichen.
Ferkel, die nicht zur Zucht bestimmt sind, werden mit ca. 25-30 kg Lebendgewicht zur Mast aufgestallt. Für die Mast von 25 auf 110 kg Lebendgewicht (das „Normalgewicht“ für die Schlachtung“) werden in der Massenhaltung drei - vier Monate gebraucht. Die Tageszunahmen liegen zwischen 650 und 750 Gramm. Je kg Gewichtszuwachs werden etwa 3 kg Futter benötigt.

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diesen überaus interessanten Brief / Bericht. Ich glaube, der Hinweis "Trittbrettfahrer" trifft genau zu. Es gibt leider zu viele Mitmenschen, die darauf reinfallen und das auch noch teuer bezahlen. Bitte halten Sie uns auf dem Laufenden, welche Stellungnahme Herr Müller abgibt.
    Manfred Vorbrugg

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  2. Es gibt viele (Spitzen)Köche, die etwas nennen was es nicht ist, wobei ich immer überlege ob es aus Unwissenheit ist oder weil sie ihre Kunden/Gäste für so blöd halten.
    So nennt der Hamburger Selbstüberschätzer Stefen Henssler Fischstücke die er gewürzt und angebraten hat weiterhin Sashimi, eine absolute Lachnummer. Damit wäre er ein Erfolg im japanischen Fernsehen in dem es Sendungen gibt in denen zur Belustigung des Publikums gerne "Langnasen" vorgeführt werden. Rund um den Tokioter Fischmarkt Tsukiji wurden sich die Köche eher traditionell entleiben als soetwas als Sashimi zu präsentieren oder zu sich zu nehmen.

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